1. März 2013

Der exhibitionistische Autor

Kürzlich habe ich eine Kunstausstellung besucht, in der es erlaubt und auch erwünscht war, die Werke anzufassen. Zum Teil konnte man sogar in sie hineingehen. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, Kunst nicht nur aus gebührendem Abstand zu betrachten, sondern auch zu erfühlen und z. B. die Wirkung von Licht auf das jeweilige Werk aus verschiedensten Perspektiven zu erleben.
Wie es wohl wäre, wenn man der Mona Lisa über die Wangen streichen dürfte? Oder ein Gemälde van Goghs berühren und so eine Brücke zum Maler schlagen könnte? Soweit wird es aber nicht kommen. Überall lauern Wärter und drängen auf einen Sicherheitsabstand. Kunst zu erleben ist in aller Regel ein beschränktes Erlebnis.
Sind wir Autoren nicht exhibitionistisch? Wir legen unsere Gedanken und Phantasien offen, ohne dass ein Wärter den Leser gemahnt gebührenden Abstand zu halten. Der Leser kann alles, was wir ihm anheim geben, mit sich tragen, sein Eigen machen, nach seinem Gusto weiterentwickeln und formen.
Was wohl geschehen würde, wenn wir so mit Kunstwerken umgehen dürften? Picassos „Blaube Taube“ ausgemalt? Beuys´ Installation zur Seite gerückt?